Freundeskreis Jüdisches Leben in Waldshut-Tiengen - Mitglied der Bürgerzunft 1503 Tiengen e.V.
Jüdisches Leben in Waldshut-Tiengen

Geschichte der Juden in Waldshut-Tiengen 1938

Die Reichspogromnacht

9. Nov. 1938 Am 07.11.1938 verübt der siebzehnjährige polnische Jude Herschel Grynszpan ein Attentat auf Ernst von Rath, den Legationssekretär der deutschen Botschaft in Paris. Dessen Tod am 9. November 1938 nehmen die Nationalsozialisten zum Anlass, eine in ihrem Umfang beispiellose Aktion von Mord, Brandstiftung, Plünderung und Vertreibung gegen die Juden in die Wege zu leiten. Zwar erklärt die NS-Führung das Pogrom als eine Folge des „spontanen Volks- zorns“. In Wirklichkeit sind die deutschlandweiten Schandtaten von Hitler persönlich angeordnet und werden von Propagandaminister Göbbels mit Hass- und Hetzreden angefacht. Der Terror hat fürchterliche Folgen: Zerstörung von über 1400 Synagogen und Gebetshäusern Schändung zahlreicher jüdischer Friedhöfe Verwüstung und Plünderung jüdischer Wohnungen und Geschäfte Ermordung von etwa 800 Juden, 400 sterben zusätzlich an den Folgen des Pogroms In Tiengen wird am Abend des 9. Novembers die gesamte Einrichtung der Synagoge zerstört. Parallel dazu verwüsten SA-Horden aus dem ganzen Klettgau den jüdischen Friedhof. Anschließend ziehen sie durch die Haupstraße, plündern jüdische Geschäfte und brüllen im Chor: „Wenns Judenblut vom Messer spritzt, dann gehts nochmal so gut“. Die meisten jüdischen Männer werden in „Schutzhaft“ genommen, zunächst im Waldshuter Gefängnis. Einige werden von dort in das Konzentrationslager Dachau überführt. Um frei zu kommen, müssen sich die wohlhabenden Geschäftsleute verpflichten, ihren Besitz zu Spottpreisen zu verkaufen, meist an National- sozialistische Parteigänger. Die beiden Tiengener Juden Julius Guggenheim und Heimann Rabbinowicz kommen im November 1938 in Dachau ums Leben, wahrscheinlich ermordet. Auch in Waldshut wüten die SA-Horden. Der alte Sigmund Siegbert wird aus seiner Wohnung geholt, die Treppe hinuntergeschmissen und von den Schergen im Hof zusammengeschlagen und -getreten. 10. Nov. 1938 Auf dem Tiengener Markplatz wird das Synagogeninventar verbrannt. Da der zerstörte Friedhof an der häufig befahrenen Feldbergstraße liegt, wird ein Landwirt und Parteigenosse damit beauftragt, diesen umgehend ab- und aufzuräumen. Die unbeschädigten Grabsteine werden an Steinmetze verkauft. Die beschädigten werden zum Bau einer Gartenmauer im Seilerbergweg verwendet. Diese erhält im Volksmund schon bald den Namen „Schandmauer“. 10. Dez. 1938 Bürgermeister Gutmann gibt nach Beratung mit dem Gemeinderat folgenden Beschluss bekannt: Die infolge der Empörung über die Juden entstandenen Auslagen zum Aufräumen, gemäß den Anschauungen der Gestapo, Kreisleitung, Bezirksamt entstandenen Kosten, sollen von den hiesigen Juden gemäß den ergangenen Verordnungen des Beauftragten für den Vierjahresplan ersetzt werden.“ Die gequälten jüdischen Mitbürger werden somit verpflichtet, die Folgen der an ihnen verübten Verbrechen auch noch selbst zu bezahlen.
Bild: Landesarchiv Stuttgart
Bild: Landesarchiv Stuttgart
Der zerstörte jüdische Friedhof von Tiengen
Verbrennung des Synagogeninventars auf dem Tiengener Marktplatz am 10.11.1938
Bild: Klettgaumuseum, Jüdisches Zimmer
Nach der Zerstörung des Inventars der Tiengener Synagoge stellen sich die Täter dem Fotografen.